21. Dezember 2022 | Marathon-News

Theater der Träume – die Frankfurter Festhalle

DIE FESTHALLE IST SEHNSUCHTSZIEL, ALLEINSTELLUNGSMERKMAL UND BÜHNE FÜR GROSSE GEFÜHLE ZUGLEICH. ENDLICH GEHÖRT SIE AM LETZTEN OKTOBERSONNTAG WIEDER DEM LAUFSPORT. DOCH WER NACH 50.000 SCHRITTEN AUF DEM ROTEN TEPPICH ANKOMMT, IST NOCH NICHT GANZ AM ZIEL.

 

Zu den Wahrheiten des Mainova Frankfurt Marathon zählt ja, dass die Strecke weder exakt 42,195 Kilometer lang ist noch, dass sie auf dem roten Teppich in der Festhalle endet. Denn geschafft haben es alle Finisher erst dann, wenn sie auch noch die „Treppe des Schmerzes“ bewältigt haben. Ihre Stufen erreicht man etwa achtzig Meter hinter dem offiziellen Ziel auf dem Weg hinaus zu den Verpflegungsständen. Und über diese 18 Stufen müssen alle. Nun gehört das Hinabsteigen einer Treppe zu den unliebsamsten Tätigkeiten nach einem Marathon. Der lange Lauf hat vor allem die vordere Oberschenkelmuskulatur in Mitleidenschaft gezogen – das ist bei der Laufbewegung die Stützmuskulatur, also die Muskulatur, welche die Stöße beim Laufen abfängt. Bei jedem der vierzig- bis fünfzigtausend Schritte, die Läufer für einen Marathon benötigen. Beim Treppenhinuntersteigen wird genau diese Muskulatur nochmal ordentlich beansprucht, und daher sind die 18 Stufen nach der Festhalle die letzte große Herausforderung.
Viele schaffen die Treppe nur in Etappen, müssen Sitzpausen einlegen, sie klammern sich ans Geländer, stützen einander – und freuen sich über den Tipp, die Treppe besser rückwärts hinabzusteigen. Ein bisschen ist diese Herausforderung auch ein Happening, bei dem man die letzte Hürde  des Lauftages feiert. Es gibt auch lustige Sprüche. „Jedes Jahr derselbe Mist hier“, ruft ein Teilnehmer laut lachend. Und ein anderer: „Hier müssen dringend Rolltreppen hin.“ Rolltreppen wird es dort wohl niemals geben, daher gehört die „Treppe des Schmerzes“ zum Mainova Frankfurt Marathon genauso dazu wie die große Show beim Zieleinlauf. Die Festhalle mit Anbindung ans Messegelände ist ein spezieller Ort in Frankfurt. Gebaut zwischen 1907 und 1909 war die Halle damals der größte Kuppelbau Europas. Seit 2003 bietet die historische Architektur mit ihren schweren offengelegten Stahlträgern einen magischen Ort für Marathonläufer, denn nirgendwo auf der Welt gibt es einen derartigen Zieleinlauf wie in Frankfurt. Es ist eine formidable Laufsport-Show und eben deswegen ein Sehnsuchtsziel sondergleichen.

 

Nach zwei Jahren Pause war er zurück, der Zauber der „Gudd Stubb“, wie die Festhalle in Frankfurt auch genannt wird. Beliebtestes Fotomotiv schon am Vortag des Rennens ist immer das Zieltor samt rotem Teppich. Am Samstag ist schon mächtig Leben in der riesigen Halle: beim Einlauf der Jüngsten beim Struwwelpeter-Lauf und bei der Fattoria La Vialla – Toscana Pasta Party. Am Rennsonntag ist die Stimmung famos, wenn die Teilnehmer des Mini Marathons den roten Teppich erreichen. Das wird noch gesteigert beim Zieleinlauf der Eliteathleten. Dann flackert die Lichtshow, dann jubeln die Zuschauer, dann regnet es Konfetti. „Wir wollen Sportlern eine Bühne bieten“, lautet der Anspruch von Renndirektor Jo Schindler. Und die Festhalle ist eine große Bühne für Marathonläufer– egal, ob sie 2:06:11 Stunden laufen wie der diesjährige Sieger Brimin Misoi aus Kenia oder 6:45:30 Stunden wie der Letzte, Dominique Cadot aus Frankreich.

 

Fast niemand weiß oder sieht, dass das Marathon-Kraftwerk der Festhalle in deren Bauch steht. Wie der Maschinenraum eines Schiffes. In einer großen Küche im unterirdischen Labyrinth sorgt am Rennwochenende immer Ingrid Keim mit ihrem Team vom SC Steinberg dafür, dass alle, die zum Gelingen des Marathons beitragen, bei Kräften bleiben. Hier unten entsteht die Helferverpflegung: belegte Brötchen, heiße Würstchen und schmackhafter Kuchen. Seit zehn Jahren rackert hier der Verein aus Dietzenbach für alle Helfer von Vereinen sowie die Mitarbeiter von ASB, DRK oder Feuerwehr. Mit vierzig Leuten ist das Team Keim in diesem Jahr wieder dabei, gearbeitet wird im Schichtbetrieb mit jeweils sechs Leuten. Die Steinberger sind so erfahren, dass sie strategisch wichtige Utensilien wie Dosenöffner, scharfe Messer oder eine kleine Kaffeemaschinen selbst mitbringen. Mag die Arbeit in den fensterlosen Räumen und in stickiger Luft auch anstrengend sein, „wir sind alle froh, dass es wieder losgegangen ist“, sagt Ingrid Keim. „Die zwei Jahre Corona waren ganz schlimm.“

 

Was 1981 mit dem Höchst Marathon begann und seit 2003 ein spektakuläres Finish in der Festhalle hat, ist gelebte Frankfurter Sportgeschichte. Die Bühne ist wieder frei – und sie ist von Tausenden begeisterten Läufern betreten worden. Die „Treppe des Schmerzes“ haben übrigens auch dieses Jahr wieder alle bewältigt.

DIE FESTHALLE IST SEHNSUCHTSZIEL, ALLEINSTELLUNGSMERKMAL UND BÜHNE FÜR GROSSE GEFÜHLE ZUGLEICH. ENDLICH GEHÖRT SIE AM LETZTEN OKTOBERSONNTAG WIEDER DEM LAUFSPORT. DOCH WER NACH 50.000 SCHRITTEN AUF DEM ROTEN TEPPICH ANKOMMT, IST NOCH NICHT GANZ AM ZIEL.