Tadesse Abraham und Nancy Kiprop wollen am Sonntag ein Stück Wiener Marathongeschichte schreiben. Der Schweizer möchte als erster Europäer seit Luis Novo(Portugal) 2001 den Vienna City Marathon gewinnen. Die Kenianerin Nancy Kiprop kann zur Rekord-Siegerin des größten und spektakulärsten österreichischen Straßenrennens werden. Sie peilt neben dem dritten Vienna-Triumph in Folge zudem den Streckenrekord an, der seit 19 Jahren bei 2:23:47 Stunden steht. Mit Philipp Baar (SCC Berlin) startet erstmals seit vielen Jahren wieder ein deutscher Topläufer im Männer-Elitefeld des Vienna City Marathons, der als „IAAF Gold Label Road Race“ zur höchsten Kategorie im internationalen Straßenlauf zählt. Baar hat natürlich weit weniger spektakuläre Ziele als Abraham und Kiprop. Sollte er sich am Sonntag aber auf eine Zeit von unter 2:15 Stunden verbessern können, wäre dies für deutsche Verhältnisse schon recht ordentlich.
„Es ist immer mein Ziel, als Erster das Zielband zu durchbrechen. Dafür habe ich trainiert! Wenn es mir gelingt, meine Leistung abzurufen, dann gehe ich mit einem guten Gefühl aus dem Rennen. Und das ist mein Ziel für Sonntag“, sagte Tadesse Abraham, der im vergangenen Jahr bei den Europameisterschaften in Berlin die Silbermedaille im Marathon gewann, nachdem er 2016 Viktor Röthlin als Schweizer Rekordler über die klassische Distanz abgelöst hatte. Abraham lief damals in Seoul 2:06:40 Stunden. Im gleichen Jahr wurde er als bester europäischer Läufer Siebenter bei den Olympischen Spielen in Rio.
Eigentlich wollte Tadesse Abraham im Januar auf der superschnellen Strecke des Dubai-Marathons seinen Schweizer Rekord unterbieten. Doch er erwischte einen schlechten Tag und kam schließlich als Zehnter nach 2:09:50 Stunden ins Ziel. Nach dieser Enttäuschung will sich Abraham nun in Wien zurückmelden. Trainiert hat er für das Rennen in Äthiopien, wo er sich einer der hochkarätigen Trainingsgruppen anschließt. In seine eigentliche Heimat, nach Eritrea, kann Tadesse Abraham seit 2004 nicht mehr reisen. Seine Eltern und seine Geschwister hat er seitdem nur noch via Facetime gesehen. Vor 15 Jahren setzte er sich nach der Crosslauf-WM in Brüssel vom eritreischen Team ab und flüchtete in die Schweiz. Dort hat er sich eine Existenz aufgebaut und lebt mit seiner Familie in Genf.
Während Tadesse Abraham sich auf sein Vienna-Debüt freut, freut sich Nancy Kiprop, wieder zurück in Wien zu sein. Hier feierte die 39-jährige Kenianerin die beiden größten Siege ihrer Karriere: 2017 und 2018 gewann sie den Vienna City Marathon. „In Wien bin ich immer sehr willkommen – das schätze ich“, erklärte Nancy Kiprop während der heutigen Pressekonferenz in Wien. Die beiden Wien-Triumphe bildeten für sie die Grundlage, sich einen Traum zu erfüllen. Mit den Prämien konnte sie den Bau und den Betrieb einer Schule mit zurzeit 122 Kindern in ihrer kenianischen Heimat finanzieren. „Ich wollte der Gesellschaft und dem Ort aus dem ich komme etwas zurückgeben. Die Schule läuft gut, und es ist eine zusätzliche Motivation für mich“, sagte die Mutter von zwei eigenen und fünf adoptierten Kindern, die in Wien als erste Frau einen Hattrick erreichen kann. Mit ihrer Bestzeit von 2:22:46 Stunden ist sie die schnellste Läuferin auf der Startliste.
Ungewöhnlich und mutig ist auch der Schritt, den Philipp Baar im vergangenen Jahr gemacht hat. Der 26-Jährige kündigte seinen Job im Personal-Management, um sich voll auf das Laufen zu konzentrieren. Verbunden war dies mit einem Trainerwechsel. Seit dem Spätsommer 2018 wird Philipp Baar von Dieter Hogen betreut. „Wenn man Marathon läuft, ist es schwieriger, das Training mit einem Job zu vereinbaren – zumal, wenn Anspruch und Ziele höher werden“, sagte Philipp Baar, der vor einem Jahr in Düsseldorf sein Marathon-Debüt in 2:16:17 Stunden lief und dann bei den Europameisterschaften in Berlin über diese Distanz Platz 38 belegte. „Ich denke, ich bin in einem guten Alter, um den Schritt zu wagen. Die letzten Erfolge lassen auf eine weitere Entwicklung hoffen.“
Seit seinem Wechsel zu Dieter Hogen ist die Trainingsintensität für Philipp Baar gestiegen. „Ich laufe auch wesentlich mehr im Gelände als früher und dafür weniger auf der Straße oder auf der Stadion-Bahn“, sagte der Berliner, der sich mit seiner neuen Trainingsgruppe seit Januar drei Monate lang in Neuseeland auf den Vienna City Marathon vorbereitet hat. Zunächst hatte er allerdings Pech, weil ihn eine Erkältung zurückwarf. Daher sind die Ziele für den Vienna City-Marathon auch nicht zu ambitioniert: „Ich möchte auf jeden Fall meine Bestzeit unterbieten und hoffe dabei auf ein Ergebnis von unter 2:15 Stunden“, sagte Philipp Baar. „Dies wäre“, so fügte Trainer Dieter Hogen hinzu, „dann auch eine gute Ausgangsposition für den Herbst-Marathon.“ Den wird Philipp Baar sicherlich in Berlin laufen, und dann geht es um eine deutlichere Verbesserung. Das Ziel heißt Olympia-Teilnahme in Tokio 2020. In einem neuen, undurchsichtigen Qualifikationssystem, das der internationale Leichtathletik-Verband IAAF eingeführt hat, ist neben anderen Kriterien eine Norm-Zeit von 2:11:30 Stunden für den Marathon angegeben. Diese Zeit muss Philipp Baar im Blick haben, um sich den Olympia-Traum 2020 zu erfüllen.
Text: race-news-service.com
Foto: photorun.net