5. Dezember 2018 | Marathon-News

„Mehr als Du läufst“

Beim Ökumenischen Gottesdienst werden die Läufer auf besondere Art und Weise auf den Marathon eingestimmt

 

Die Musik des Posaunenchors aus Eschborn klingt durch den Treppenaufgang zum Blauen Saal. Wie ein Aufruf an all die Marathonis auf dem Heimweg von der Marathonmall und Fattoria La Vialla – Toscana Pasta Party. Der Ökumenische Gottesdienst im ersten Stock der Festhalle ist eine kleine, aber feine Veranstaltung im Rahmen des Mainova Frankfurt Marathon. Mit Tradition und wachsender Beliebtheit. Längst hat sich eine eigene Marathon-Gemeinde gebildet, bestehend aus immer wiederkehrenden Besuchern, aber auch Marathondebü­tanten. Rund 100 Läufer haben am frühen Samstagabend Platz genommen, um sich auf besondere Art und Weise einstimmen zu lassen auf den 42,195 Kilometer langen Lauf durch Frankfurt. Die Musik der Blechbläser lädt die Läufer zur christlichen Feierstunde ein, gestaltet und geleitet wird sie von den drei Pfarrern Gabriele Braun, Peter Noss und Ulrich Reichard.

 

Dass der Laufklassiker am Main eine internationale Veranstaltung mit multikulturellem Charakter ist, spiegelt sich auch im Gottesdienst wider. Die Läufer ergreifen gerne die Gelegenheit, noch einmal Ruhe zu finden und durch die Predigt einen anderen Blick auf Marathon und Laufen zu erhalten. Der Gottesdienst steht 2018 unter dem Motto „Laufen für Frieden und Verständigung“. Unter dieser Überschrift treten auch vier interreligiöse Staffeln mit Teilnehmern unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Konfessionen an, die laufend ein Zeichen setzen wollen für ein friedliches Miteinander.

 

Die Predigt hält in diesem Jahr Pfarrer Ulrich Reichard, der 2017 im Alter von 60 Jahren seinen ersten Marathon lief und nun mit Vereinskameraden des SC Oberlahn an den Start gehen wird.

Die Überschrift seiner Predigt lautet „Mehr als Du läufst“, ein Motto, das nach seiner Auffassung für sich spricht, wie er eindrucksvoll und nachdenklich erklärt. „Laufen ist immer mehr. Es ist mehr als Du läufst“, lautet sein Grundprinzip, das ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat – von der Kindheit bis ins Berufsleben. „Es gehörte immer dazu.“ Man benötige mehr als die Beine, so seine Überzeugung, und Laufen biete mehr als nur den Sport, nämlich beste Chancen für Miteinander und Gemeinschaft.

 

Zum Abschluss der Predigt stimmt der Posaunenchor die aus dem Fußballsport bekannte Hymne „You‘ll never walk alone“ an. Ein Lied, das bestens zur Predigt passt und bei dem auch viele Läufer mitsingen. Nach Hause gehen die Teilnehmer mit einem Läufersegen. Da kann tags darauf ja eigentlich nichts mehr schiefgehen.

 

Gottesdienst am Vorabend des Marathon in Frankfurt am 27.10.2018 um 18.00 Uhr Predigt: Dekan Reichard
Mitwirkende: Peter Noss (ev.), Gabriele Braun (rk)
Predigttext: OffJoh 21,6 (Jahreslosung 2018)
Lesung: Apg 8 (Taufe des Kämmerers)
Lied nach der Predigt: EG plus 164
Posaunenchor: Kirchengemeinde Eschborn

 

PREDIGT

1.1.
Liebe „Marathonis“,
liebe …
„Mehr als Du läufst!“ – das Motto, unter dem der diesjährige Gottesdienst am Vorabend des Frankfurt-Marathons steht, spricht für sich und fasst im Leben vieler Läufer, auch in meinem, ein großes Event in wenigen Worten zusammen.
Ich habe mir meinen ersten Marathon im letzten Jahr zum 60. Geburtstag geschenkt. Lange habe ich dieses „Event“ lange vor mir hergeschoben und bekenne heute, ein Jahr danach: zu lange; es hätte früher sein dürfen, es hätte „Mehr“ sein können.
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1.2.
Denn Laufen ist immer mehr: mehr als die Anzahl der Kilometer, die ich zurücklege, und mehr als die Kalorien, die mein Körper dabei verbrennt.
In meinen Kindertagen war das Laufen so etwas wie eine „Überlebensstrategie“, zu der es u.a. gehörte, schneller zu sein als meine Mutter und der Kochlöffel in ihrer Hand, der drohend mein Hinterteil suchte, wenn ich etwas ausgefressen hatte.
In meiner Jugend gehörte das Laufen zum Spiel mit dem Fußball oder dem Tischtennisball, wenn ich erfolgreich sein wollte.
Im Studium war das Laufen eine sportliche Herausforderung und Fitnessprogramm zugleich, das mir nebenbei auch noch eine gute Figur bescherte.
Während meiner beruflichen Tätigkeit habe ich das Laufen immer wieder als einen wertvollen und sehr persönlichen Freiraum erlebt, in dem ich immer wieder durchatmen, neu und quer denken und die „Festplatte“ im Kopf leeren kann.
Wie ich das/mein Laufen auch definiere, es ist
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immer „Mehr als Du läufst!“. Es fordert mich in besonderer Weise heraus und führt mich an meine Grenzen heran. Es beschenkt mich aber auch mit einem tollen Gefühl und manchmal auch Erfolg, wenn ich die Grenzen überwinden kann. Laufen beschenkt mich mit Freiheit und Gemeinschaft. Es macht mich frei für Neues – privat und beruflich, in Kirche, Politik und Gesellschaft und damit auch im Dienst für ein inklusives Miteinander und Füreinander. Das alles ist in der Tat weit „Mehr als Du läufst“!

2.1.
Wer läuft braucht auch mehr als nur die Beine und die Füße; diese alleine sind noch nicht das Ziel bzw. bringen noch nicht das Ziel!
Diese Erfahrung muss auch der Kämmerer aus Äthiopien machen (Wir haben in der Lesung von ihm gehört). Er hat den weiten Weg nach Jerusalem auf sich genommen, um im Tempel zu beten; für die Rückreise hat er sich auch noch ein teures Buch gekauft. Doch für beide, den langen Weg und das Buch, fehlen ihm noch das Verständnis bzw. der Zugang; mit beiden kann er noch nichts Richtiges anfangen, noch nicht so
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viel.
In der Vorankündigung dieses Gottesdienstes für die Presseabteilung des Marathon hat Peter Noss mit Blick auf diesen Lesungstext sehr treffend formuliert: Der Kämmerer benötigt einen Trainingskameraden, der ihm hilft zu verstehen, Grenzen zu überwinden und sich auf die neuen Herausforderungen einzulassen.“ so dass es „Am Ende heißt: ‚Und er lief seine Straße fröhlich!‘“
Nachdem ich viele Jahre überwiegend alleine gelaufen bin, habe ich in der Vorbereitung für meinen 1.Marathon viele „Trainingskameraden und –kameradinnen“ an meiner Seite gehabt; ohne sie/Euch (zeigt Euch bitte einmal?!) hätte ich vermutlich den Zugang zum Marathon nicht mehr gefunden und auch nicht mehr erfahren und verstehen können, worin das eigentliche „Event und Feeling“ besteht!
Ich war eingeladen worden, mitzulaufen, wurde „angeleitet“ und dauerhaft begleitet, d.h.: ich bin nicht mehr alleine gelaufen: Eine oder Einer ist immer an meiner Seite geblieben, wenn ich langsamer gelaufen bin, als die Spitzenleute, hat mit mir geredet (über Gott und die Welt), hat
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mich motiviert, sich für meine Fragen geöffnet und ein Stück Gemeinschaft mit mir gelebt, die über den Marathon hinaus spürbar und erlebbar geblieben ist.
Auch das ist „Mehr als Du läufst!“ und in einem hohen Grade inklusive menschliche Begegnung, die ihren Wert – wie ich eingangs schon einmal betont habe – in sich selber trägt.

2.2.
In der Jahreslosung 2018, in der Offenbarung des Johannes, Kapitel 21 Vers 6, heißt es: „Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“
Gott will und kann unseren Durst nach Leben und auch Leistung aus einer Quelle stillen, die nie versiegt, aus der wir nach Bedarf schöpfen dürfen und die uns selbst nichts kostet.
„Mehr als Du läufst!“ ist darum immer auch die Quelle, aus der ich meine Kraft schöpfe. Sie ist unvorstellbar mehr, weil unendlich tief und geheimnisvoll.
Als Läuferinnen und Läufer wissen wir, wie sich Durst anfühlt, wie wichtig die richtige Flüssigkeitszufuhr während des Laufens ist, wie
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kostbar jeder Tropfen Wasser auf der Strecke ist, wie er uns erfrischt, ermuntert, durchstehen und durchlaufen lässt.
Eine Quelle im Gepäck haben, die mich selbst nicht be- sondern entlastet, ist gewiss hilfreich und kann mich gelassener auf die Strecke gehen lassen. Mit Gottes Quelle im Gepäck laufe ich ausdauernd und werde ich auch Morgen mein Ziel erreichen, das heißt: Gesund ankommen! Denn auch Gesundheit ist „Mehr als Du läufst!“
So wünsche ich uns allen Morgen einen guten Lauf mit viel Event, Gemeinschaft, Gefühl und Erfolg. Ich wünsche uns, dass wir die Quelle der Kraft spüren, die uns das Ziel erreichen lässt. So spricht Gott: „Ich will dem durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ AMEN!

LIED: EG Plus 164 „You’ll never walk alone, walk on with hope in your hard …”