22. Juli 2024 | Running-News

Der olympische Chaos-Marathon von Paris 1900 Vorschau auf die Olympischen Spiele in Paris (Teil 1)

 

Am 26. Juli beginnen die Olympischen Spiele in Paris. Das Leichtathletik-Programm findet zwischen dem 1. und dem 11. August statt. Wohl keine andere olympische Disziplin ist so reich an Kuriositäten, Sensationen, Pleiten, Pannen oder Überraschungen wie der Marathon. Besonders turbulent ging es bei den ersten Auflagen der Spiele zu.

 

Nach der Olympia-Premiere in Athen, wo 1896 die Strecke von der Kleinstadt Marathon ins Athener Olympiastadion führte, folgten vier Jahre später die Spiele in Paris. Der Marathon 1900 war wahrscheinlich der chaotischste in der olympischen Geschichte. Es gab damals in Paris kein Stadion, die Spiele wurden im Rahmen der Weltausstellung quasi nebenher veranstaltet. Die Wettbewerbe fanden auf einer 500-m-Grasbahn im Bois de Boulogne statt, einer Wald- und Parkanlage im Westen der Stadt. Die Marathonstrecke führte am Rande der Stadt an Befestigungsanlagen entlang und wieder zurück. Bei sengender Hitze – mehrere Publizisten berichten von Temperaturen von knapp 40 Grad Celsius – gingen am 19. Juli 15 Läufer an den Start von denen später sieben das Ziel erreichten. Die Strecke war laut Berichten schlecht abgesperrt, zudem befanden sich offenbar viele Radfahrer und auch Autofahrer auf dem Kurs.

 

In seinem in den 60er Jahren erschienenen Werk „Die Geschichte der Olympischen Leichtathletik“ zitiert der frühere Berliner Sportjournalist und internationale Leichtathletik-Statistiker Ekkehard zur Megede einen Zeitzeugen: „Das Rennen war eine Farce, denn wer konnte schon mit jenen Pariser Läufern konkurrieren, die die Stadt wie ihre Westentasche kannten … Sie schnitten die Kurven ab und fanden auch sonst allerhand Schliche, um ihren Konkurrenten gegenüber einen Vorteil herauszuholen.“ Vom fünftplatzierten US-Amerikaner Arthur Newton überlieferte zur Megede die folgende Aussage: „Ich übernahm auf halber Strecke die Führung, und da mich bis zum Ziel niemand überholte, fühlte ich mich als Olympiasieger. Wieso einige andere vor mir da waren, wird mir ewig ein Rätsel bleiben.“ Der hinter ihm platzierte Dick Grant (er startete als Amerikaner, kam aber offenbar aus Kanada) reklamierte demnach, dass ihn ein Fahrradfahrer umgefahren hatte, als er einen Franzosen überholen wollte.

 

In anderen, allerdings wesentlich später erschienenen Büchern, werden diese Vorfälle nicht bestätigt. Angeblich gab es Kontrollpunkte und die Wertung war korrekt, heißt es.

 

Übereinstimmend wird jedoch berichtet, dass der später drittplatzierte Schwede Ernst Fast einen Polizisten nach dem Weg fragte. Dieser kam jedoch nicht aus Paris sondern aus Marseille. Er kannte sich nicht aus und schickte Ernst Fast in die falsche Richtung. Der Schwede verlor dadurch mehrere Minuten, während sich der Polizist diesen Fehler derart zu Herzen nahm, dass er sich einige Tage später das Leben nahm.

 

Der in Paris lebende Michel Théato, der zunächst als Bäckerjunge beschrieben wurde, aber offenbar als Möbeltischler arbeitete, wurde damals Olympiasieger. Er gewann den Marathon in 2:59:45 Stunden vor dem Franzosen Émile Champion (3:04:17) und Ernst Fast (3:37:14). Eugène Besse (Frankreich/4:00:43) und Arthur Newton (4:04:12) folgen auf den Rängen vier und fünf. Zwar wurde Michel Théato damals als französischer Sieger gefeiert, doch er stammte aus Luxemburg und hatte 1900 offenbar nicht die französische Staatsangehörigkeit. David Wallechinsky schreibt im „The Complete Book of the Summer Olympics“, dass der mit-favorisierte Franzose Georges Touquet-Daunis nach 12 Kilometern sein Rennen an einem Café unterbrach. Nach ein paar Gläsern Bier entschied er dann, dass es zu warm war zum Weiterlaufen.

 

Dei Streckenlänge betrug damals, ebenso wie vier Jahre zuvor in Athen, noch nicht die heutige Distanz von 42,195 km. In Paris wurden 1900 genau 40,26 km gelaufen. Bei den Olympischen Spielen 1908 in London betrug die Distanz zum ersten Mal 42,195 km. Diese krumme Streckenlänge kam damals zustande, weil am Schloss Windsor gestartet wurde und das Ziel im White City Stadium genau vor der königlichen Loge platziert werden musste. Die 42,195 km wurden später als offizielle Streckenlänge des Marathons festgelegt.

 

Als die Olympischen Spiele 1924 nach Paris zurückkehrten, gab es keine Unstimmigkeiten. Der Start im Olympiastadion wurde am 13. Juli allerdings kurzfristig aufgrund der Hitze von 15 Uhr auf 17.30 Uhr verschoben. Der Finne Albin Stenroos lief nach 2:41:22,6 Stunden als Sieger ins Ziel im Olympiastadion. Romeo Bertini (Italien/2:47:19,6) gewann die Silbermedaille vor Clarence DeMar (USA/2:48:14,0). 58 Teilnehmer gingen 1924 in Paris an den Start, 28 gaben das Rennen auf. Es waren 1924 die Spiele des Parvo Nurmi. Der legendäre Finne gewann fünf Goldmedaillen: Nurmi triumphierte über 1.500 m, 5.000 m, im Crosslauf, mit der finnischen Cross-Mannschaft und im 3.000-m-Mannschaftslauf.

 

Text: Jörg Wenig / Race News Service

Fotos: Marathoneum, Sailer / photorun.net

Spiridon Louis gewann 1896 im Athener Panathinaikon-Stadion den ersten olympischen Marathon. Foto: Marathoneum