22. Juli 2024 | Running-News

Kann Amanal Petros im Marathon überraschen? Vorschau auf die Olympischen Spiele in Paris (Teil 2)

Olympische Marathonrennen sind immer für Überraschungen gut. Es sind längst nicht nur die Kenianer und die Äthiopier, die die Medaillen unter sich ausmachen. In einem Meisterschaftsrennen ohne Tempomacher, bei hohen Temperaturen und gegebenenfalls auf einer schwierigen, welligen Strecke haben auch andere Athleten eine Chance. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Japan liefen hinter Kenias Superstar Eliud Kipchoge der Holländer Abdi Nageeye und der Belgier Bashir Abdi auf die Plätze zwei und drei. 2016 in Rio war der US-Amerikaner Galen Rupp Dritter, und auf der enorm anspruchsvollen Original-Strecke von Marathon nach Athen gab es bei brütender Hitze 2004 gar keinen afrikanischen Medaillengewinner: Der Italiener Stefano Baldini triumphierte vor Meb Keflezighi (USA) und Vanderlei de Lima (Brasilien). Entscheidend war bei allen, dass sie sich die Kräfte hervorragend eingeteilt hatten und dadurch in der letzten Phase noch Plätze gutmachen konnten.

 

Bei den Olympischen Spielen in Paris wird der Männer-Marathon am 10. August um 8 Uhr gestartet, so dass mit einem Hitzerennen zu rechnen ist. Die Strecke ist mit drei harten Anstiegen schwierig. Der aktuelle Boston-Marathon-Sieger Sisay Lemma (Äthiopien), der Weltmeister Victor Kiplangat (Uganda) und der Olympiasieger Eliud Kipchoge (Kenia) sind vielleicht als Favoriten anzusehen. Doch eine Gruppe von nicht-afrikanischen Athleten könnte sehr gute Platzierungen erreichen und zumindest in den Kampf um die Bronzemedaille eingreifen. Zu diesen Läufern zählt mit Amanal Petros auch ein deutscher Athlet.

 

Über viele Jahre hinweg hat der 29-Jährige, der zurzeit für den SCC Berlin startet, sich immer weiter nach vorne geschoben. Die meiste Zeit des Jahres verbringt Amanal Petros im kenianischen Höhentrainingslager in Iten, wo er mit internationalen Topathleten trainiert. Der enorme Einsatz spiegelt sich in der Leistungsentwicklung wider. Beim Berlin-Marathon steigerte Amanal Petros 2023 seinen deutschen Rekord auf 2:04:58 Stunden. Damit gehört er jetzt zur europäischen Spitze.

 

Bei den Europameisterschaften in München 2022 bereits Vierter, lief Amanal Petros vor kurzem bei der EM in Rom auf Rang drei im Halbmarathon. „Ich war froh, dass es am Ende noch zur Bronzemedaille gereicht hat. Denn ich hatte im Vorfeld zu viel trainiert und konnte in den beiden Nächten vor dem Rennen nicht gut schlafen“, sagt Amanal Petros, der gut 300 Meter vor dem Ziel zudem umknickte als er auf die Begrenzung der Bahn trat. „Das war schmerzhaft und dadurch hatte ich keine Chance mehr auf eine noch bessere Platzierung. Aber der Schmerz war dann schnell wieder weg, der Fuß war nicht verletzt und ist stabil.“

 

„Das Training hier in Kenia lief sehr gut, ich hatte keine Probleme“, erzählt Amanal Petros, der in Iten in einer Gruppe trainiert, die vom erfolgreichen italienischen Marathon-Coach Renato Canova angeleitet wird. Auch im Alter von knapp 80 Jahren ist der Trainer noch zeitweise in Kenia vor Ort. Mit seinem Heimtrainer Tono Kirschbaum gibt es zudem eine enge Absprache. „Wir telefonieren praktisch täglich“, sagt Amanal Petros, der in den letzten Wochen Trainingsläufe von bis zu 40 km Länge in der dünnen Höhenluft Kenias absolvierte. Für die schwere Strecke in Paris fühlt sich Amanal Petros bereit. Unmittelbar nach der EM in Rom war er mit den anderen deutschen Olympia-Startern in der französischen Hauptstadt, um sich die entscheidenden Passagen der Strecke anzuschauen. „Ich trainiere hier in Kenia ständig im hügeligen Terrain. Die Anstiege in Paris sind ähnlich“, sagt Amanal Petros, der beim olympischen Marathon in Sapporo (Japan) vor drei Jahren Platz 29 belegt hatte. „Meine Form ist so gut wie nie zuvor. Im Vergleich mit meinem Training für den Berlin-Marathon im vergangenen Jahr war ich bei den entscheidenden Trainingsläufen noch mal ein Stück schneller.“

 

„Ich werde mich in Paris nicht an einem bestimmten Konkurrenten orientieren. Ich habe keine Angst vor Eliud Kipchoge oder irgendeinem anderen Athleten. Mein Plan ist es, vorne mitzulaufen, aber am Ende der Gruppe“, sagt Amanal Petros, der auch die deutschen Rekorde über 10 km (27:32) und im Halbmarathon (60:09) hält. „Im Marathon kann alles passieren. Wenn es gut  läuft, ist es mein Ziel, einen Platz unter den ersten acht zu erreichen“, sagt Amanal Petros. Dies wäre die beste Platzierung eines deutschen Athleten im olympischen Männer-Marathon seit dem Sensations-Rennen von Stephan Freigang 1992. Vor 32 Jahren, als die Afrikaner den Marathon noch nicht dominierten, lief der Cottbuser in Barcelona nach einer starken Schlussphase zur Bronzemedaille.

 

Die Marathonläufe von Amanal Petros

 

  1. Hannover-Marathon 2024 2:06:05
  2. Berlin-Marathon 2023 2:04:58
  3. Hannover-Marathon 2023 2:07:02
  4. Europameisterschaften, München 2022 2:10:39
  5. Valencia-Marathon 2021 2:06:27
  6. Olympische Spiele, Sapporo 2021 2:16:33
  7. Valencia-Marathon 2020 2:07:18
  8. Valencia-Marathon 2019 2:10:29

 

Text: Jörg Wenig / Race News Service

Fotos:  Victah Sailer / photorun.net

Amanal Petros ist bereit für den Olympia-Marathon in Paris. Foto: Victah Sailer / photorun.net