26. September 2016 | Marathon-News

Der Kampferprobte: Patrick Raguse, 23 Jahre aus Reichenbach

Patrick Raguse hat am Tag vor dem Marathon seine Startunterlagen abgeholt. Er kann gar nicht beschreiben wie es ihm geht, so nervös ist er. Der 23-Jährige hat Riesenrespekt vor der Renndistanz  und ihm geht „um ehrlich zu sein, die Düse“. Trotzdem hat er sich eine Zielzeit von unter vier Stunden für seinen Erstling vorgenommen. Sollte er das schaffen, wolle er hinter der Ziellinie vor Freude zusammenbrechen und sich riesig freuen.

Patrick hat vor sechs Jahren einen schweren Schicksalsschlag erlitten, als er in seiner drittletzten Fahrstunde mit dem Motorrad aus einer Linkskurve flog und frontal mit dem Kopf gegen eine Mauer prallte. Sechs Wochen Wachkoma – geistig schwerbehindert und kognitiv teilleistungsgestört hieß die Diagnose. Kaum zu glauben, dass dieser junge Mann nun in Frankfurt einen Marathon bewältigen kann. „Ich will sagen können, dass ich es vom Pflegefall zum Leistungssportler gebracht habe“, sagt Patrick. Wenn der 23-Jährige mit seiner bewegten und bewegenden Geschichte an der Startlinie steht, wird er zurückdenken an die schwerste Zeit in seinem jungen Leben. Und daran, wie er sie gemeistert hat. Die Ärzte haben damals ihre Diagnosen jedenfalls ohne Patricks eisernen Willen gemacht. Mit 17 Jahren musste er neu lernen, wie man isst und trinkt, wie man geht und wie man spricht.  In seinem Buch „Und plötzlich war alles anders“ beschreibt er seinen Kampf zurück ins Leben. „Der Fall ins Bodenlose“ heißt das Buchkapitel, in dem Patrick seinen Schicksalsschlag reflektiert. Er schaffte den Realschulabschluss und später sogar das Abitur. „Und das mit meinem Hirn“, sagt Patrick schmunzelnd. „Ich habe fast kein Kurzzeitgedächtnis, da fällt wie ein Sieb alles durch.“ Er, der ehemalige Leistungsschwimmer, ließ sich auch von seinem mickrigen körperlichen Zustand nicht entmutigen, machte beharrlich weiter – und seit zwei Jahren gehorchen ihm die Beine wieder vollends. Und er läuft und läuft und läuft. „Ich habe gelernt, mit meinen Defiziten zu leben“, sagt Patrick. Vor kurzer Zeit hat er in den Kölner Bäderbetrieben eine Ausbildung begonnen und genießt das zurückerlangte Leben.

Patrick hat es tatsächlich ge­schafft! Nach 4:26:43 Stunden erreicht er die Festhalle, mehr taumelnd denn laufend. In den Armen einer Helferin wird er von Freude und Schmerz übermannt. „Es tut so weh, es tut so weh“, wiederholt er immer wieder. Eine Pflegerin nimmt sich seiner an, misst den Blutdruck am rechten Arm – am Linken geht es nicht, denn dieser war nach dem Unfall damals mal gelähmt. „Die ersten 20 Kilometer waren super, aber ab Kilometer 30 kam der Hammer und es hat immer und immer mehr wehgetan. Den Bodensee zu durchwimmen war weniger anstrengend. Aber seitdem ich das geschafft habe, ist Aufgeben keine Option mehr“, sagt Patrick. Dabei schießen ihm immer wieder die Tränen in die Augen. Er hat sich und der Welt wieder bewiesen hat, welch großes Kämpferherz er hat.

Patrick Raguse