16. Oktober 2018 | Marathon-News

„Marathon ist vier mal 10 km plus Schlussspurt“

Lauf-Star Arne Gabius vor seinem vierten Start beim Mainova Frankfurt Marathon über Nervosität vor dem Start, Willenskraft während des Rennens und Emotionen im Ziel

 

Am Renntag stehen Dir an der Startlinie Tausende Läufer im Rücken. Bist Du dann ähnlich nervös wie die meisten von ihnen?

Ich werde auf jeden Fall sehr nervös und aufgeregt sein. Und das ist auch gut so, denn nur wenn man nervös ist, kann man Leistung bringen. Künstler und Schauspieler brauchen auch das Lampenfieber, um maximal fokussiert und konzentriert zu sein. Meine Frau kann schon an meinem Verhalten am Frühstückstisch erkennen, ob es ein gutes Rennen wird. Wenn ich ordentlich reinhaue, bin ich nicht nervös genug. Aber wenn ich nur so ein bisschen am Brötchen herumkaue, dann weiß sie: Das wird gut.

 

Du lässt Nervosität also komplett zu, versuchst sie in keiner Form zu unterdrücken?

Ja. Gut, dass die Nacht vor einem Marathon nicht so wichtig ist, weil man nur einen sehr leichten Schlaf hat. Auch beim Einlaufen 60 bis 70 Minuten vor dem Start, bin ich sehr nervös und denke: Oh man, ich kann ja fast keinen Schritt machen, wie soll das bloß werden.

 

Hast Du bestimmte Rituale oder eine Routine vor dem Start, auf die Du sehr erpicht bist?

Ja, es gibt einen Ablaufplan, der mir Sicherheit gibt und ein gutes Gefühl, dass es gut werden wird. Bei mir ist das meist der Fall, wenn ich die letzten Steigerungsläufe gemacht habe und das Trikot mit Startnummer überstreife. Dann kommt die Selbstsicherheit, ohne sich von Wetter, Gegnern oder sonst irgendwas aus der Konzentration bringen zu lassen. Ich bin dann sehr mit mir selbst beschäftigt, fokussiert und im Tunnel.

 

Wie sieht Dein Ablaufplan vor dem Start konkret aus?

Ich beginne mit dem Aufwärmen. 60-70min vor dem Start laufe ich mich etwa 20 Minuten lang warm. Es folgen Koordinationsübungen, leichte Dehnübungen und Steigerungen. Kurz vor dem Start ziehe ich mein Trikot mit Startnummer und meine Rennschuhe an. In Frankfurt kenne ich die Gegebenheiten einfach sehr gut und schätze die kurzen Wege zwischen Hotel und Start sehr. Ich kann sogar 30 bis 40 Minuten vor dem Start noch aufs Hotelzimmer zur Toilette…

 

…wirst Du da so kurz vor dem Start im Hotel nicht angesprochen, was mit dir los sei?

Aus den Blicken im Fahrstuhl spricht auf jeden Fall Verwunderung. Noch einmal die Ruhe genießen, mich sammeln und vor dem Spiegel sagen: Jetzt geht’s los. Das werde ich in diesem Jahr auch wieder so halten. Das gibt mir Sicherheit.

 

Und dann kommt der Moment, an dem es kein Zurück mehr gibt: der Startschuss. Fällt dann Spannung ab oder baust du Druck auf?

Es kommt ganz auf den Rennplan an. Wichtig ist, dass sich schnell meine Gruppe mitsamt den Tempomachern findet. Natürlich kontrolliert man zu Anfang jeden Kilometer das Tempo auf der Uhr. Auf den ersten 7 bis 8 Kilometern gilt es reinzukommen. Dann geht es die Bremer Straße hoch und bei Kilometer 10 weiß man schon, ob es ganz gut passt oder nicht. Dann geht das Rennen richtig los. Die zweiten 10 werden in Frankfurt traditionell besonders schnell gelaufen. Spätestens bei der Halbmarathonmarke weiß man, wohin die Reise geht.

 

Setzt Du dir Zwischenziele oder betrachtest Du die 42,195 Kilometer als Ganzes?

Ich schaue nach Kilometerschildern und Getränkestationen. Grundsätzlich teile ich mir den Marathon ein als vier Mal 10 Kilometer plus Schlussspurt. Und nicht als 42 Kilometer oder 107 Runden um den Sportplatz. Das macht für den Kopf einen großen Unterschied.

 

Ab wann weißt Du, ob es Dein Tag ist oder ein gebrauchter Tag?

Bei meinem Marathondebüt in Frankfurt 2014 wusste ich es bei Kilometer 30, weil ich dann erst ‚Feuer frei‘ gegeben habe und die zweite Hälfte schneller laufen konnte. Bei meinem Lauf zum deutschen Rekord 2015 wusste ich vom ersten Meter an, dass es gut wird – obwohl die letzten 12 Kilometer sehr hart wurden. Im vergangenen Jahr dachte ich bis Kilometer 24, dass es richtig gut wird. Aber dann hat mich der Wind doch ziemlich erwischt und ich hatte leider vorher schon bei diesen Bedingungen viel Kraft gelassen.

 

Wie wirst Du das Rennen 2018 angehen?

Ruhiger. Das habe ich mir fest vorgenommen. So wie 2014. Wenn ich mich auf Frankfurt einstimmen will, schaue ich mir am liebsten die Übertragung von 2014 im Internet an. Einen Negativsplit zu laufen, macht einfach Spaß. Außerdem mag ich es, andere Läufer einzusammeln, die dem hohen Anfangstempo Tribut zollen müssen. So wie bei meinem Rekordlauf, als ich bei Kilometer 30 auf Platz 21 lag und am Ende Vierter war. Diesen Spaß möchte ich in diesem Jahr wieder haben.

 

Und eine weitere Verbesserung Deines Rekordes?

Wir wollen das Rennen in Richtung deutsche Rekordmarke angehen, aber nicht deutlich darunter.

Jeder Marathon hat Höhen und Tiefen, gute und schlechte Gedanken unterwegs. Wieviel kann man zusätzlich mit Willenskraft und Kampfgeist herausholen?

Auch ich hatte in jedem Marathon Phasen, wo ich gedacht habe: Jetzt geht nichts mehr – noch so einen Kilometer und ich höre auf. Aber es geht doch irgendwie weiter. Ich habe ja noch keinen Frühjahrsmarathon ins Ziel gebracht, jeweils wegen Verletzungen. Da muss man dann so vernünftig sein und die Segel streichen. Aber bei mentalen oder leichten körperlichen Problemen, muss man den Glauben an sich bewahren und auf die Zähne beißen. Man trainiert so viel für einen Marathon, da muss alles an diesem einen Tag passen. Mit Kampfgeist kann man eine Menge bewegen, weil Marathon zum großen Teil Kopfsache ist.

 

Apropos Kopf: Welche Bilder kommen Dir in den Sinn, wenn Du an diesen Sonntag kurz nach 12 Uhr denkst?

Die Friedrich-Ebert-Anlage. 2015 kam mir die noch viel zu lang vor. Ich hatte nicht mehr im Kopf, dass man nochmal durch den Startbogen läuft und dann in die Festhalle abbiegt. Bin ich jetzt etwa falsch, habe ich damals noch gedacht (lacht). Die vielen Zuschauer auf der langen Gerade pushen einen nochmal ungemein. Dann kommen auch die hr-Kommentatoren Dieter Baumann und Ralf Scholt ins Bild. Das ist schon alles sehr vertraut.

 

Und dann der Einlauf über den roten Teppich in die Festhalle…

…was schlicht der Wahnsinn ist. Das ist die pure Belohnung. Daran denkt man auch schon auf der Mainzer Landstraße, der langen Gerade zurück in die Innenstadt. In der Festhalle lasse ich gerne zwei, drei Sekunden liegen, um das zu genießen. Na gut, im letzten Jahr nicht, weil ich unbedingt unter 2:10 Stunden laufen wollte….

 

….was Dir in 2:09:59 Stunden punktgenau gelungen ist.

In der Festhalle kann man die Freude einfach rauslassen. Das würde ich auch jedem Läufer empfehlen, egal wie gut oder schlecht die Leistung oder das Wetter war. Diese 60 Meter auf dem roten Teppich hat man sich einfach verdient. Das ist Gänsehaut pur.

Lauf-Star Arne Gabius vor seinem vierten Start beim Mainova Frankfurt Marathon über Nervosität vor dem Start, Willenskraft während des Rennens und Emotionen im Ziel