19. Dezember 2017 | Marathon-News

Warum die Marathonmall auch eine Erdkundeveranstaltung ist und Jan Frodeno schon nach drei Bier betrunken ist

Normalerweise werden Sportler angehimmelt, weil sie etwas Großes gewonnen haben. Aber dass einem gerade dann die größte Verehrung entgegenschlägt, wenn man etwas Großes verloren hat, „ist ein Prozess, den ich erst verstehen musste“. Jan Frodeno hat verloren, und Millionen Menschen nachts vor dem Fernseher haben dabei zugesehen. Und einige Menschen in der Hitze von Kailua Kona litten direkt mit ihm, wollten helfen oder wenigstens motivieren.

Genau bei Kilometer 3,49 auf der Laufstrecke der Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii war Frodenos Rücken nicht mehr belastbar, er weiß das so genau, weil seine GPS-Uhr den Punkt anzeigte, an dem der Schmerz in die Muskulatur schoss. Und ab dann war das Rennen für ihn gelaufen. Adieu zweite Titelverteidigung, adieu Hawaii-Hattrick.

Man sah Frodeno, wie er sich immer wieder am Straßenrand oder auf dem Boden liegend dehnte in der Hoffnung, dass der Rücken noch locker wurde. Vergebens. Der Schmerz ließ nicht nach. Aber Triathleten sagen gerne, dass Aufgeben keine Option ist, also wackelte der Titelverteidiger über den heißen Asphalt des Queen Kaahumanu Highways durch die Trostlosigkeit der Lavawüste bis ins Ziel nach 9:15:44 Stunden – gut 1:15 Stunden über Plan.

Leiden, unterwegs noch andere Athleten anfeuern und dann noch das Rennen beenden – mit so einer Energieleistung erarbeitet man sich Heldenstatus. Als Frodeno pünktlich auf die Bühne seines Ausrüsters Ascis stieg, war er die große Attraktion der Marathonmall. Und dann berichtete er eine halbe Stunde lang von seinem Leidenstag: wie er wegen seiner Kurzsichtigkeit gar nicht merkte, dass er nach dem 3,8 Kilometer langen Schwimmen schon auf Platz zwei lag, wie er dann in der zweiten Wechselzone auf Platz drei dachte, dass er die beiden vor ihm liegenden Lionel Sanders (später Zweiter) und Sebastian Kienle (später Vierter) noch locker einholen werde, doch ein im Rennanzug eingenähter Transponder beim 180 Kilometer Radfahren auf das Kreuz-Darmbein-Gelenk so lange gedrückt hatte, bis die Muskulatur an dieser Stelle betonhart wurde. Und wie dann berühmte Kilometer 3,49 kam, der Punkt, der alles veränderte – und die folgenden 38 Kilometer zur Qual werden ließ.

Die Leute auf der Marathonmesse litten noch einmal mit Frodeno mit, sie lachen aber auch mit ihm, als er erzählt, wie er mit Kienle nach dem Rennen ein „Frustfressen“ veranstaltete, mit je einem Hamburger und einer Salami-Pizza und drei Flaschen Bier. „Und danach war mir drei Tage lang schlecht.“ Kein Wunder, hatte er sich doch zuvor sechs Monate lang vegetarisch ernährt.

Zwei Wochen nach Hawaii, am Morgen vor seinem Auftritt auf der Marathonmesse, ist Frodeno erstmals wieder gelaufen, „es geht wieder“, war seine Erkenntnis. Zuvor war er in Australien, Surfen, mit dem Mountainbike fahren, „pennen und  futtern, was man halt so gerne macht“.

Frodeno hat dann noch gesagt, dass die wenig­sten Triathleten und Marathonläufer im Ziel sagen, dass heute alles toll gewesen ist. Vielmehr überwiege das Leiden, das sich Überwinden, und vielleicht war das die wichtigste Botschaft für das Publikum: Ja, es tut weh, aber davor ist der Hobbyathlet genauso wenig gefeit wie der Weltklasseprofi. Da müssen alle durch.

Schöne Sätze waren das inmitten dieses Messegewusels auf 2.600 Quadratmetern, wo sich der kundige Läufer traditionell eindeckt mit günstiger Sportausrüstung, sich massieren lässt, eine neue Faszien-Rolle ausprobiert oder am Stand des Marathonpartners Generali einen Fitnessparcours absolviert.

Die Marathonmall ist darüber hinaus auch eine Erdkundeveranstaltung. Schließlich präsentieren sich hier auch jede Menge andere Marathonveranstalter aus ganz Europa, wie etwa aus Brasov (Rumänien), Salzburg – oder aus der Fränkischen Toskana, wo es im September 2019 den 1. Brauereimarathon gibt. „Sport, Genuss, Kultur“, heißt das Motto.

Für so etwas dürfte der Gelegenheitsbiertrinker Jan Frodeno noch nicht die rechte Motivation haben, es geht bei ihm erst einmal darum, mit nunmehr 36 Jahren noch einmal versuchen, „zurück in die Charts zu kommen“, wie er es nennt. Ein paar Tage nach dem Rennen hatte er auf Facebook einen Eintrag gelesen, wonach mit dem Sieg des Darmstädters Patrick Lange die Wachablösung auf der Triathlon-Langstrecke eingeläutet worden sei. Und da hatte es Frodeno regelrecht geschüttelt. Er weiß: Ein großer Sportler tritt nicht nach einer großen Niederlage ab – sondern nach einem großen Sieg.