15. Oktober 2017 | Marathon-NewsPresse-News

Laufen wie die Hasen

Tempomacher sind die vorwegrennenden Chronometer der Topathleten. Auf dem schnellen Frankfurter Kurs kommt ihnen eine große Bedeutung zu.

 

Es ist eine der Paradoxien des Ausdauersports. Die Kenianer gehören zwar zu den schnellsten Läufern der Welt, sie brechen Rekorde und gewinnen Titel. Doch ihr Tempogefühl ist, so drastisch muss man es formulieren, oft miserabel. Carsten Eich, einst mit 2:10:22 Stunden deutscher Marathon-Rekordhalter, hat einmal erklärt, warum das so ist: Kenianer trainieren daheim stets ohne Uhr.

Aber man braucht das Chronometer, um Kilometer für Kilometer exakt nach Vorgabe zu rennen. Erst recht, wenn man für andere Athleten eine Orientierungshilfe sein soll – ein Tempomacher. Ohne ihre Anschubhilfe werden heute praktisch keine Rekorde aufgestellt, sie halten das Tempo wie vereinbart hoch, bieten Windschatten und sorgen auch für die mentale Entlastung bei den Athleten, die ihnen folgen. Den diese können sich unterwegs auf sich und die Konkurrenz konzentrieren – für den schnellen Schritt sorgen ja die Tempomacher.

Man kommt nicht umhin, Kenianer als Schrittmacher zu verpflichten, denn, neben den Äthiopiern, sind quasi nur ostafrikanische Athleten in der Lage, die für ein hochklassiges Rennen wie den Mainova Frankfurt Marathon nötigen hohen Tempi anzuschlagen. Und so ist der Widerspruch dieser: Ohne sie läuft nichts mehr, aber das Laufen nach Zeitplan ist für sie wiederum oft schwer umzusetzen. Daher muss Christoph Kopp als Sportlicher Leiter des Mainova Frankfurt Marathons bei der Auswahl der Tempomacher eine gute Hand haben, er muss deren Leistungsvermögen beurteilen können – und ihre Fähigkeit, Vorgaben zu erfüllen. Diese Vorgaben werden nach dem Leistungsvermögen der verpflichteten Topläufer erstellt. Kann ein Veranstalter nur Athleten verpflichten, die auf eine Endzeit von 2:10 Stunden kommen, braucht es andere Tempomacher als bei einem Frankfurter Rennen, bei dem der Sieger nach 2:06 oder schneller im Ziel sein soll.

Und in Frankfurt geht es seit jeher um die schnellen Zeiten. Es werden drei Renngruppen eingerichtet, für die maximal drei Tempomacher zuständig sind –  das ist das Reglement des Internationalen Leichtathletik-Verbandes. Gruppe eins soll bei der Halbmarathon-Marke exakt in 63 Minuten durchgehen, Gruppe zwei in 64 und Gruppe drei in 65:30 Minuten. „Mir ist dabei wichtig, dass gleichmäßig gelaufen wird“, sagt Kopp. Deswegen ist sein Job am Renntag auf dem Motorrad sitzend das verabredete Tempo zu überwachen. Wird es zu langsam, greift er genauso ein, wie wenn es zu schnell wird. Letzteres kann schon passieren, wenn auch die Tempomacher sich von der Atmosphäre an der Strecke beflügeln lassen und deren Beine immer schneller werden.

Aber für Eigenmächtigkeiten ist an diesem Tag kein Platz. Es wird verabredet, wer bis zur Hälfte die Gruppe führt, wer bis Kilometer 25, und wer bis Wegmarke 30. Dafür gibt es Honorare, die nach Dauer es Einsatzes gestaffelt sind. Wer in der Lage ist, länger voranzustürmen, als vereinbart, dem winkt ein Bonus pro gelaufenem Kilometer. Wer aber zu früh abbaut, dem wird das Honorar gekürzt.

Formal sind die Tempomacher Teilnehmer wie jeder andere auch, theoretisch dürfen sie auch ins Ziel laufen. Und wenn sie so stark sind, dass ihnen gar keiner mehr folgen kann und sie gewinnen – bitteschön, dann gibt’s auch die Siegprämie. Das ist nicht abwegig, aber selten. „Wenn einer unterwegs sagt, dass er durchlaufen will, dann stelle ich ihm kein Bein“, sagt Kopp. Aber der Plan lautet, dass die Stars gewinnen. Und die sind in der Regel ab Kilometer 30 unter sich. Die Tempomacher steigen nach getaner Arbeit in Kleinbusse, die an den vereinbarten Kilometermarkierungen stehen und werden auf dem schnellsten Weg ins Ziel oder Athletenhotel gefahren.

Etwas anders ist die Lage bei den Frauen, die ja theoretisch viele Tempomacher haben können, weil sie sich einfach nur an schnelle Männer heften brauchen. Aber die Spitzenläuferinnen verlassen sich nicht auf solche Zufallsbegegnungen, hier bringen viele ihre persönlichen Begleiter mit. Das ist erlaubt, muss allerdings in Frankfurt mit Christoph Kopp abgesprochen werden.

Bleibt noch die Frage, warum Wilson Kipsang 2012 als Frankfurt-Sieger den damaligen Weltrekord nur um vier Sekunden verpasst hat. War es das Versagen der Tempomacher? „Nein“, sagt Kopp, “bis Kilometer 33 war noch einer dabei, und es lief bis dahin alles perfekt.“ Bei Kilometer 36 hatte Kipsang dann auch seinen letzten „echten“ Konkurrenten abgeschüttelt und rannte alleine weiter. Aber eben nicht schnell genug. Es lag an der schwindenden Kraft, nicht am schlechten Zeitgefühl.

Tempomacher sind die vorwegrennenden Chronometer der Topathleten. Auf dem schnellen Frankfurter Kurs kommt ihnen eine große Bedeutung zu.